„Wenn du dein Zimmer jetzt nicht aufräumst, bin ich aber traurig.“, sagt eine Mutter zu ihrer vierjährigen Tochter. Die Tochter schaut fragend, neigt den Kopf etwas zur Seite und versucht im Gesicht ihrer Mutter zu erkennen, was sie da sagt. Doch sie sieht keine Traurigkeit, Mama sieht eher sauer aus. Und auch ihre Stimme klingt so, als ob Mama unbedingt etwas will. „Komisch!“ ,denkt sie, „Gibt’s vielleicht verschiedene 'traurig'?“
Möglicherweise sagt die Mutter aber auch zu ihrer Tochter: „ Wenn ich dir Gute Nacht sagen will, komme ich kaum an dein Bett, ohne auf irgendwas drauf zu treten. Barbiepuppen, Legosteine, Puppengeschirr.... Das tut echt weh an den Füßen. Ich will das nicht, räum das bitte weg!“ Und während sie das sagt, kann die Kleine auch im Gesicht ihrer Mutter sehen, dass sie genervt ist. Die Augen werden enger, die Stirn steht in Falten. Und auch ihre Stimme ist ein bisschen lauter.
Mal abgesehen davon, ob das Mädchen nun ihr Zimmer aufräumt oder nicht und welche Methode schneller zum Ziel führt.... Was meinen Sie? Was macht es dem Kind später leichter, den Anderen wirklich wahrzunehmen? Was macht es zu einem mitfühlenden, sozialen Wesen? Und wodurch bekommt es am ehesten ein Gefühl dafür, was es heißt authentisch zu sein?
Passen die Worte zu den Empfindungen?
Kinder haben ein untrügliches Gefühl dafür, was echt ist. Wenn wir sie noch nicht durch zweideutige Botschaften, moralische Zwänge oder emotionale Erpressungen irritiert haben. Sie sind geboren mit Arglosigkeit und offenem, bedingungslosen Vertrauen in ihre Eltern. Sie können Gesichter lesen, Angst riechen, Unsicherheit spüren, sich von Freude anstecken lassen und Gesten erfassen. Instinktiv. Und man kann sich leicht vorstellen, was geschieht, wenn das, was sie wahrnehmen, nicht mit dem übereinstimmt, was wir ihnen sagen. Sie fangen an, sich selbst zu misstrauen. Schlimmer noch wird es, wenn wir den Kindern ihre Empfindungen sogar ausreden. „Nein. Das ist nicht so.“ „Du übertreibst.“ „Nein, ich hab nichts. Ich bin nicht wütend.“ Alles an uns spricht Bände....nur unsere Lippen sagen etwas anderes. Welche Botschaft vermittelt das dem Kind?
Mit meinen Gefühlen, mit meiner Wahrnehmung stimmt etwas nicht!
Das ist ganz sicher nicht das, was wir wollen.
Aber was können wir denn tun, damit unsere Kinder stark und selbstverständlich darin werden, sich und anderen zu vertrauen?
Was fühle ich eigentlich?
Zunächst einmal könnte es helfen, wenn wir uns einstimmen auf unser eigenes Fühlen.
Keine schnellen Sätze. Sondern: Was fühle ich eigentlich jetzt!?
Einatmen, ausatmen, innehalten....was taucht in mir auf? Aha! Wut. Ich bin müde. Ich fühle mich gehetzt. Ich hab Hunger. Ich bin mit den Gedanken woanders. Mir ist das hier zu laut. Ich will auf die Couch. Mir rauscht's im Kopf. Meine Beine sind wie Blei. Mir ist jedes Wort zuviel..... Was auch immer es ist. So ist es jetzt. Es taucht auf. Es darf sein. Ja.
Wenn wir wissen, was wir fühlen, können wir es auch sagen. Wir können Worte dafür finden. So können unsere Kinder erfahren, wie der Name für das Gefühl ist, das ihnen ohnehin sichtbar wird. Über die Beobachtung unseres Ausdrucks können sie selbst üben, sich auszudrücken. Sie können lernen zu sagen.“ Ich bin wütend!“ , durchaus auch laut und deutlich. Aber sie müssen nicht (mehr) wild, lang und ohrenbetäubend herumschreien und andere damit tyrannisieren.
Zuhören
Auch wenn unser Kind ein Empfinden hat, das unserem eigenen völlig zuwiderläuft, können und sollten wir das respektieren. Als Erwachsene wissen wir aus Erfahrung, dass jeder Mensch eine Situation unterschiedlich wahrnimmt. Das zu akzeptieren, fällt nicht immer leicht und oft geraten wir dabei an unsere Grenzen. Eine gute Grundanleitung, wie eine offene, konstruktive Kommunikation trotzdem gelingen kann, bietet der Psychologe Thomas Gordon. In seinem Werk 'Familienkonferenz' vermittelt er unter anderem die Methode des aktiven Zuhörens. Das heißt, man kommentiert nicht, was der andere sagt, man deutet, verdreht, unterdrückt, verbietet oder argumentiert nicht, sondern hört einfach nur genau zu. Wenn der andere seinen letzten Satz beendet hat, wiederholt man, was man verstanden hat. Ein Beispiel. Das Kind sagt: „ Ich will nicht in die blöde Klavierstunde gehen! Das ist total langweilig und ich kann das sowieso nicht!“
Und statt nun sofort zu argumentieren, warum das sein muss, wie teuer die Stunden sind und wie wichtig die Übung und das musikalische Talent sind, sagt der Erwachsene einfach:
„ Ah, du willst also nicht in die Klavierstunde gehen. Du findest das langweilig und denkst, du kannst das sowieso nicht. Verstehe ich das richtig?“
„Ja! Die anderen aus der Gruppe sind viel besser und ich kann die kleine Nachtmusik immer noch nicht und die lachen schon alle. Außerdem will ich Rockmusiker werden. Da spielt keiner Klavier!“
„ Du hast also das Gefühl, dass Du ausgelacht wirst, weil du die kleine Nachtmusik noch nicht kannst. Und du denkst, als Rockmusiker muss man nicht Klavier spielen können.“
„Ja. Rockmusiker spielen viel coolere Sachen als die kleine Nachtmusik und ich würde gerne mal was richtig Rockiges spielen.“
Ohne den Gesprächsfaden hier weiterzuspinnen sehen wir, wie das aktive Zuhören die Tür offen hält für echte Kommunikation. Oft werden Empfindungen, die hinter einer Aussage liegen, dadurch erst sichtbar. Und dies ist eine gute Voraussetzung für Verstehen und ein authentisches, wertschätzendes Miteinander.
Klare Worte
Es gibt natürlich auch Situationen, in denen vielleicht keine Zeit ist oder es keinen Sinn ergibt, umfangreiche Gespräche zu führen. Wenn dem Kind Gefahr droht zum Beispiel oder es sich in einem größeren sozialen Gefüge befindet, in dem bestimmte Abläufe das Zusammensein regeln, wie Kita, Schule, Abhol-und Bringezeiten oder Mahlzeiten in einer Großfamilie. Kindern dann in einfachen und klaren Worten zu vermitteln, was jetzt zu tun ist und warum, fällt vielen Eltern gar nicht so leicht. Oft beobachte ich umfangreiche Ausführungen und Erklärungen, die das Kind völlig überfrachten. Es scheint das Missverständnis vorzuherrschen, dass Kinder kleine Erwachsene wären, die sowohl intellektuell, als auch emotional in der Lage wären, wesentliche Informationen aus dem Gesagten herauszufiltern. Dem ist nicht so!
Ein Kind in seinem Wesen als gleichwertig zu betrachten, bedeutet nicht, es wie einen Erwachsenen zu behandeln. Kinder müssen nicht exakt darüber informiert werden, was in uns als Eltern vor sich geht. Im Gegenteil, das wäre eine große Überforderung.
Wenn sich also Diskussionen über ein warum und wieso anbahnen, die auch nach der zweiten kurzen Erklärung nicht enden, kann ich durchaus ein . „Weil ich es sage!“ empfehlen. Kinder brauchen eine Anleitung, den Fels in der Brandung, den, der weiß wo es lang geht – nicht einen nimmermüden Erklärbär, der mehr Verwirrung schafft, als Orientierung. Natürlich kann und wird dadurch Reibung entstehen und echte Auseinandersetzung. Dieses Wagnis müssen wir eingehen. Und die Nerven sollten wir haben. :-)
Vorbilder
Kinder können sich dann gesund entwickeln, wenn sie sowohl lernen, als auch wagen können, ihren Empfindungen zu vertrauen und diese auch auszudrücken. Und wenn sie darin echte Vorbilder haben. Das heißt, dass wir als Erwachsene unsere Masken fallen lassen müssen. Die von Verniedlichung, Scham oder falsch verstandener Autorität. Wir müssen erkennbar sein. Wahrhaftig in unseren Äußerungen.
Natürlich geht es hier nicht darum, unsere Kinder mit unseren unausgegorenen Gefühlen zu behelligen oder gar um deren Verständnis dafür zu bitten! Wir sind als Erwachsene absolut selbst sowohl in der Lage, als auch verantwortlich dafür, mit unseren Empfindungen umzugehen. Sätze wie: „ Du musst die Mama doch auch mal verstehen. Mein Chef war heute gemein zu mir, meine Freundin hat abgesagt, die Waschmaschine ist kaputt und jetzt willst du auch noch was von mir!“ am besten auch noch unter Tränen und um Verständnis flehend – das ist ein No go!!
Aber man kann sagen: „Ich bin heute geschafft. Es ist viel schiefgelaufen. Lass mir eine kurze Pause. Dann bin ich für dich da!“ Es ist auch nicht nötig, künstlich zu lächeln und mit angestrengt freundlicher Stimme eine Harmonie heucheln, die nicht da ist.
Und wenn unser Kind Mist gebaut hat, dürfen wir sauer sein! Wir sollten es zeigen. Nicht in langen, pädagogisch korrekten Vorträgen, sondern authentisch, so wie wir sind.
Um echt zu sein, zu sich zu stehen und sich als soziales Wesen zu begreifen, brauchen unsere Kinder gute Vorbilder. Das sind in erster Linie wir als Eltern. Und um sich und ihr Wesen wirklich zu entdecken, brauchen unsere Kinder Feingefühl, Spiegel, echtes Interesse und liebevollen Halt. Aber auch Reibefläche, Grenzen, Frustration und jede Menge Auseinandersetzung damit. Wir sollten davor nicht zurückweichen, sondern ihnen ein wahrhaftiges Gegenüber sein. Anker und Rückenwind. Und jemand, der offenen Herzens sagt: „ Ich sehe dich. Du bist geliebt. Als der, der du bist!“
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